High Noon in Hellas
Noch am 1. Februar machte die Meldung die Runde, dass eine Einigung auf einen Schuldenschnitt in Griechenland kurz bevor stünde. Die Finanzmärkte zeigten sich beruhigt, der DAX etwa stieg an. Gleichzeitig jedoch erhöhte der Internationale Währungsfonds (IWF) den Druck auf Griechenland und forderte Athen zu drastischen Lohnkürzungen auf. Zudem nahm die Diskussion über angeblich mangelnde Reformschritte Griechenlands, die zum Erhalt eines weiteren Hilfspaket nötig seien, an Fahrt auf.
Bereits einen Tag später machte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dafür Stimmung, Griechenland ein drittes Hilfspaket zu verweigern. Zuvor hatte es aus Brüsseler Beamtenkreisen geheißen, dass die solventen Euroländer oder die Europäische Zentralbank (EZB) weitere 15 Milliarden Euro zur Rettung Athens zuschießen müssten. Unter dem Druck der „Troika“ gab zudem die griechische Regierung bekannt, einen Sparkommissar einrichten zu wollen. Er soll der EU, dem IWF und der Europäischen Zentralbank (EZB) über den Werdegang der griechischen Sparmaßnahmen Bericht erstatten und umfangreiche Befugnisse haben, um im Falle von Abweichungen vom Sparkurs neue harte Maßnahmen anordnen können. Dabei mehren sich die Stimmen, die erkennen, dass es gerade die auferlegte rigorose Sparpolitik ist, die Griechenland in den Abgrund reißt und nicht etwa rettet: „Das Konzept, die Regierung faktisch zu entmündigen, dann zu rationalisieren, auszulagern und die verbleibenden Beschäftigten so niedrig zu entlohnen, dass sie kaum noch davon leben können, ist auf ganzer Linie gescheitert“, so Cerstin Gammelin von der Süddeutschen Zeitung. „Für dieses Desaster trägt die deutsche Regierung eine besondere Verantwortung.“
3. Februar: Die Hoffnung auf einen Schuldenschnitt bröckelt dann doch. Inzwischen gelten die Verhandlungen als „festgefahren“. Und während Schäuble seine Position bestärkt, öffentliche Gläubiger am Forderungsverzicht für Griechenland nicht zu beteiligen, lehnt nun auch Bundeswirtschaftsminister Philip Rösler (FDP) eine Beteiligung der EZB ab. Gleichzeitig will die griechische Regierung Druck auf die privaten Gläubiger machen, um einen Schuldenschnitt zu erzwingen. Inzwischen muss auch der Wirtschaftsweise Peter Bofinger feststellen, dass das Programm der „Troika“ „von Anfang an falsch angelegt“ war. „Durch die Sparmaßnahmen wurde die Wirtschaft abgewürgt, dies ließ die Defizite steigen, woraufhin die Troika noch schärfere Sparanstrengungen forderte“, so Bofinger, der einen Teufelskreislauf des wirtschaftlichen Kollaps sieht. "Die Troika hat grundlegende Gesetze der ökonomischen Schwerkraft missachtet." Auch die „Experten“ erkennen langsam das Offensichtliche.
Am 4. Februar verkündet dann der griechische Finanzministers Evangelos Venizelos, dass die Verhandlungen über einen Schuldenschnitt "auf Messers Schneide" stünden. Athen blieben nur noch 24 Stunden Zeit, eine Einigung mit seinen privaten Gläubigern zu erzielen, sagte Venizelos nach einer Telefonkonferenz mit den Finanzministern der Eurozone. Zu einem der Knackpunkte gehören die Vorstellungen der Gläübiger, wie der griechische Arbeitsmarkt umgebaut werden soll, Maßnahmen, die von Seiten der Gewerkschaften als „Rezept zu einer Katastrophe“ bezeichnet werden. Auf einmal ist auch wieder von einer Insolvenz Griechenlands die Rede. Denn der Chef der Euro-Gruppe, Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker, hat Athen mit einem Ende der EU-Hilfen gedroht, sollte es die Maßnahmen nicht umsetzen. Eine offene Erpressung, daraus macht Juncker keinen Hehl. Allein die theoretische Möglichkeit der Staatspleite sollte Griechenland "dort Muskeln verleihen, wo sie im Augenblick noch ein paar Lähmungserscheinungen haben", so Juncker. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erklärt indessen, dass Griechenland auch nach einem Schuldenschnitt „dauerhaftes Sorgenkind“ bleiben werde. Und als wäre die zerstörerische Politik der „Troika“ nicht schon wahnsinnig genug, melden sich zunehmend weitere Wahnsinnige mit Vorschlägen zu Wort: Jorgos Chatzimarkakis von der FDP fordert etwa Griechenland zerfallen zulassen und einen Neuanfang unter einem anderen Ländernamen zu machen.
Der Countdown zählt runter, die drohende Staatspleite konnte auch am 5. Februar immer noch nicht abgewendet werden. Der Verhandlungsmarathon geht weiter, sind die Auflagen der Troika doch immer nicht erfüllt worden. Nun fällt auch der Dax wieder in Angesicht der sich verschärfenden Krise. Inzwischen sind Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy zum Gipfeltreffen in Paris zusammengekommen, wo die Griechenland-Krise das beherrschende Thema ist.
„Merkozy“ macht nun erheblichen Druck. Am 6. Februar wird Griechenland eindringlich augefordert, „endlich“ zu handeln. Zugleich fordert das Duo die Einrichtung eines Sonderkontos für die Tilgung der griechischen Schulden. Die griechischen Regierungsparteien haben immer noch keine Einigung erzielt. Ein entscheidendes Treffen wird vertagt. Streitpunkt in den Gesprächen mit mit den Chefs der Sozialisten, Konservativen und der neofaschistischen Laos sind vor allem die Lohnkürzungen im privaten Sektor, die nach Gewerkschaftsangaben bis zu 25 Prozent weniger Einkommen für die ArbeiterInnen bedeuten würden. Inzwischen stimmt die Regierung schon mal weiteren Maßnahmen zu und verkündet, 15.000 Staatsbedienstete zu entlassen.
Am 7. Februar ist das Sparpakt angeblich doch auf der "Zielgeraden". Die Parteien sollen sich bald zu einer Einigung zusammenfinden. Und nachdem sich Deutschland und Frankreich nicht mit der Idee eines Sparkommissars durchsetzen konnten, werden die Pläne, diesen mit Sperrkonten durch die Hintertür einzuführen, konkreter. Das Protektorat Griechenland nimmt somit weiter Gestalt an. Gewerkschafter bezeichnen die Reformen als „Aufruf zum Selbstmord“. Die Prosteste gegen die Zerstörungspolitik haben in den letzten Tagen wieder an Fahrt aufgenommen. Es kommt zu einem 24stündigen Generalstreik. Die Wut gegen Deutschland wächst. Auch der Spiegel bezeichnet mittlerweile die europäische Griechenlandpolitik Merkozys als „Rettungsfarce“, mit der die griechische Wirtschaft erst recht ruiniert würde. Indessen bringt die erste EU-Kommissarin einen Ausstieg Griechenlands aus der Euro-Zone wieder ins Gespräch.
Einen Tag später sieht die Welt Griechenland vor dem Abgrund: „Alle Verhandlungen um den Euro-Schuldner Griechenland dienen nur dem Zeitgewinn. Das Schicksal Athens ist besiegelt. Milliarden sind verloren.“ Der griechische Wirtschaftsminister Michalis Chrysochoidis warnt vor dem „großen Knall“. Dessen ungeachtet sehen Merkel und EU-Verantwortliche die Verhandlungen doch wieder „auf der Zielgeraden“. Auch die EZB soll nun doch zu Zugeständnissen bereit sein und möchte sich am Schuldenschnitt beteiligen.
Am 9. Februar wird gemeldet, dass Griechenland die Sparauflagen akzeptiert habe. Das Land soll 2012 drei Milliarden Euro sparen. Unter anderem soll der Mindestlohn um 22 Prozent gesenkt werden. Die Gewerkschaften reagieren mit Streikdrohungen. Nach der vermeintlichen Einigung schließt der Dax im Plus. Doch sicher ist das Geld für Griechenland noch nicht, dem ein Ultimatum gestellt wird. Weniger als eine Woche bleibt Griechenland, um die Bedingungen der europäischen Partner zu erfüllen. Sie wollen verbindliche Zusagen aus Athen, dass das Sparpaket auch umgesetzt wird. Auch ist die Frage der Rentenkürzungen immer noch offen, wo keine Einigung erzielt werden konnte. Auch die Pläne für ein Sperrkonto stehen allmählich vor einer Realisierung.
Der nächste Paukenschlag am 10. Februar. Die neofaschistische Laos droht damit, die Einigung platzen zu lassen. Der Parteichef der Rechten will dem Reformpaket nicht zustimmen. Die Börsen reagieren mit Kursverlusten. In Athen werfen Demonstranten Brandsätze, Polizisten antworten mit Tränengas. Kurze Zeit später treten mehre Minister der Laos zurück, die parteiübergreifende griechische Regierung droht zerfallen. Der Streit zieht sich auch durch andere Parteien. Ungeachtet dessen billigt das Regierungskabinett das Sparpaket und nimmt damit die erste Hürde. Der Weg zur Abstimmung im Parlament ist frei gemacht. Dort könnte es für die Regierung schwierig werden. Indessen eskalieren die Proteste. Ein zweitägiger Generalstreik wurde aufgerufen. Für Furore sorgt überaschend die größte Polizeigewerkschaft in Griechenland. Sie erklärt, die Beamten der Troika würden die demokratische Ordnung umwerfen und die nationale Souveränität verletzen. Damit begründet die Polizeigewerkschaft die Drohung, Beamte der Troika festzunehmen. „„Wir weigern uns, uns gegen unsere Eltern, Brüder, unsere Kinder oder irgendeinen Bürger, der protestiert und die Änderung der Politik verlangt, zu stellen“, erklärt die Gewerkschaft.
Auch am 11. Februar halten die Proteste an, Angestellte haben bereits am Vortag das Finanzministerium besetzt. Unterdessen bereitet sich die Regierung auf die „Alles-oder-nichts-Entscheidung“ vor. Abgeordnete, die mit Nein stimmen, würden bei der nächsten Wahl nicht wieder aufgestellt, droht etwa der Chef der Konservativen. Die Gewerkschaften kündigen an, nicht aufgeben zu wollen, werde das Land doch damit vollends ruiniert. Tatsächlich sind die sozialen Verwüstungen in Griechenland derart gewaltig, wie es jenseits von Kriegen kaum ein Land bisher erleben durfte.
Alles ist möglich...